Lügen haben kurze Beine

(auch wenn man erst Jahre später darauf kommt)

 „Der Versicherungsnehmer hat nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen“. Dabei handelt es sich um einen wesentlichen Grundsatz, den jeder Versicherungsnehmer kennen muss. Zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zeigen aber, dass Versicherungsnehmer diese Verpflichtung gerne unterschätzen; dies mit fatalen Folgen:

Fall 1: Rechtsschutzversicherung:

Im Zuge einer tätlichen Auseinandersetzung versetzt der Versicherungsnehmer seinem Kontrahenten mehrere Faustschläge. Tatsachenwidrig behauptet er in seiner Parteieneinvernahme, dass auch er durch Tätlichkeiten seines Kontrahenten verletzt wurde. Im daraufhin eingeleiteten Strafverfahren werden beide Kontrahenten verurteilt. Der Versicherungsnehmer strengt danach einen Schadenersatzprozess gegen seinen Kontrahenten an, der aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung (Bindungswirkung des Strafurteiles im Zivilverfahren) auch zu seinen Gunsten ausgeht. Diese Verfahren werden von der rechtzeitig verständigten Rechtsschutzversicherung gedeckt.

Im Jahr 2013 leitet der Kontrahent ein strafrechtliches Wiederaufnahmeverfahren ein, worauf hin er (strafrechtlich) von diesem Vorfall freigesprochen wird. Auch im Zivilverfahren bringt er eine Wiederaufnahmeklage ein und erstattet gleichzeitig Anzeige gegen den Versicherungsnehmer wegen Verleumdung und Prozessbetrug. Auch diese Verfahren gewinnt der Kontrahent. Der Rechtsschutzversicherer erklärt daraufhin seine Leistungsfreiheit und verlangt vom Versicherungsnehmer die bisher erstatteten Auslagen (ca. € 40.000,-) zurück. Der Rechtsschutzversicherer gewinnt in allen Instanzen.

Der Oberste Gerichtshof begründet die Entscheidung damit, dass der Versicherungsnehmer durch falsche Angaben den Rechtsschutzversicherer zur Abgabe einer Deckungszusage arglistig veranlasst hat. Dies stelle eine wissentliche Verletzung der Auskunftsobliegenheit nach § 34 VersVG dar, die den Versicherer leistungsfrei mache (7 Ob 209/17m).

Fall 2: Haftpflichtversicherung:

Ein Wirtschaftstreuhänder soll im Jahr 2001 zwei Aktiengesellschaften prüfen. Nach Sichtung der Unterlagen machte er eine Notiz, aus der hervorgeht, dass diesen Aktiengesellschaften wohl nur ein eingeschränkter Prüfungsvermerk zu erteilen sein wird. Auch ein zweiter Wirtschaftstreuhänder derselben Kanzlei war dieser Meinung und auch dessen Meinung wird auf dieser (internen) Notiz vermerkt. Dessen ungeachtet erteilt der Wirtschaftsprüfer den Aktiengesellschaften einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk.

In weiterer Folge kommt es wegen dieses Bestätigungsvermerkes zu Schadensersatzforderungen gegen den Wirtschaftsprüfer. Er erstattet eine Schadensmeldung an seinen Haftpflichtversicherer, der vorerst Abwehrdeckung erteilt. Im Schadenersatzprozess des Kunden gegen den Wirtschaftstreuhänder wird ein Gutachten erstattet, dass mehr oder weniger klar belegt, dass der Wirtschaftstreuhänder für den unrichtigen Prüfungsvermerk haftet.

Bei den Unterlagen zu diesem Gutachten befindet sich auch die interne Notiz aus dem Jahr 2001. Diese Notiz hat der Wirtschaftsprüfer dem Haftpflichtversicherer nicht offengelegt und auch eine konkrete Anfrage, ob es bei der Übernahme des Prüfmandates irgendwelche Bedenken gegeben habe, verneint. Der Haftpflichtversicherer verweigerte daraufhin die Deckung und begründete dies mit der Obliegenheitsverletzung der  Aufklärungspflicht/Mitwirkungspflicht.

Der Oberste Gerichtshof schloss sich dieser Rechtsansicht an und bestätigte die Leistungsfreiheit des Haftpflichtversicherers mit der Nichtoffenbarung der in der Notiz festgehaltenen Umstände der Mandatsübernahme. Dies sei eine zumindest grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung; den (zulässigen) Kausalitätsgegenbeweis konnte der Wirtschaftstreuhänder nicht erbringen.

Besonders erwähnenswert ist das Argument des Obersten Gerichtshofes, dass der Wirtschaftstreuhänder nicht davon ausgehen konnte, dass der Versicherer im Urkundenkonvolut zum Gutachten diese Notiz bemerken würde. Dass diese Urkunde für den Versicherer wesentlich sein würde, musste für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer im

Hinblick auf die vereinbarte Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Schadenszufügung oder gleichzuhaltender Vorgangsweisen leicht erkennbar sein.

Der Versicherer war in diesem Fall wegen der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit leistungsfrei. Hätte der Wirtschaftstreuhänder die konkrete Frage des Versicherers bejaht und die interne Notiz vorgelegt, wäre der Haftpflichtversicherer um seine Leistungspflicht wohl nicht herumgekommen (7 Ob 164/17v ).

Autor: Dr. Walter Niederbichler